Die Zwangsarbeitsanstalt Kaltbach, auch Korrektionsanstalt genannt, wurde vom Kanton Schwyz von 1902 bis 1971 betrieben; heute ist der renovierte Bau ein Verwaltungsgebäude. Die Einweisungen erfolgten durch die Instanzen des Kantons Schwyz, es wurden aber auch administrativ Versorgte aus anderen Kantonen der Innerschweiz in Kaltbach inhaftiert.

Dies aufgrund der kantonalen Gesetze zur administrativen Versorgung oder, ab 1912, der einschlägigen Bestimmungen des Zivilgesetzbuchs.

 

Inhalt

Die Einsperrungen wurden auf ein oder zwei Jahre oder auch auf unbestimmte Zeit verfügt. Rekursinstanz war dieselbe, welche die Einweisung verfügte, nämlich der Regierungsrat des Kantons Schwyz. Eine unabhängige richterliche Instanz war im Verfahren nicht vorgesehen. Deshalb richtete die Familie Schuler, von welcher der Vater respektive Ehemann in Kaltbach interniert worden war, eine Klageschrift an den Bundesrat. Dieser liess solche Eingaben meist durch die Justizabteilung des EJPD mit dem Standard-Bescheid beantworten, der Bund sei nicht zuständig, die Betroffenen sollten sich an die kantonalen Instanzen wenden. Dabei war es sowohl dem Bundesrat wie auch dem Bundesgericht durchaus möglich, auf solche Beschwerden einzutreten, falls verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte verletzt wurden.

Die in Zwangsarbeitsanstalten Eingesperrten versuchten oft zu fliehen. Sie wurden dann polizeilich zur Fahndung ausgeschrieben und bei Wiedereinbringung mit Arrest und, in einigen Fällen, verfassungswidrig durch Prügel bestraft. Auch in anderen Fällen wurden sich widersetzende Internierte geschlagen. Gegen diese Anwendung von Gewalt in der Anstalt Kaltbach richtete sich unter anderem die Anklage der Familie Schuler. Auf diesen Punkt der Beschwerde trat der Bundesrat tatsächlich ein, wie aus dem Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde der Familie Schuler ersichtlich ist.

Die Intervention des Bundes bewirkte, dass der Schwyzer Regierungsrat dem damaligen Verwalter von Kaltbach einen Verweis erteilte. Der Anstaltschef blieb aber in seinem Amt.

 

Forschungsfragen

Viele Beschwerden administrativ Versorgter wurden beschlagnahmt und nicht weitergeleitet oder es wurde von den zuständigen Behörden nicht auf sie eingegangen. Auf die vorliegende Beschwerde ging der Bundesrat zwar ein, doch thematisierte er einzig den Aspekt der Körperstrafe. So stellt sich die Frage, welche anderen Erkenntnisse aus Klageschriften wie dieser für unsere Forschung wichtig sind. Wie bei Zeugnissen der oral history lassen sich aus solchen Dokumenten Hinweise auf die Anstaltspraxis und den Alltag der Internierten entnehmen, die in Beschwerdebehandlungen, Jubiläumsschriften und Jahresberichten der entsprechenden Instanzen und Institutionen ausgeblendet bleiben. In den Archiven gibt es eine Vielzahl solcher Berichte und Beschwerden, die unabhängig voneinander verfasst wurden, aber sehr ähnliche Geschehnisse, Missstände und Misshandlungen schildern. Sie betreffen mehrere, verschiedene Anstalten und entstanden während des gesamten Untersuchungszeitraums der UEK.

Die Beschwerde von Familie Schuler erwähnt exemplarisch zentrale Probleme administrativ versorgter Menschen: Schlechte Nahrung, schlechte medizinische Versorgung, Willkür, Privilegierung materiell besser gestellter Internierter, harte Formen des Strafarrests, Ankettung, unnötige quälerische Schikanen seitens des Personals, sexueller Missbrauch Internierter, Internierung in Zwangsarbeitsanstalten auch von Arbeitsunfähigen, Zensur und Beschlagnahmung von Briefen an die Aussenwelt. Auf all diese Aspekte ging der Bundesrat nicht ein. Ebensowenig fragte er nach, was hinter der in der Beschwerde von Familie Schuler erwähnten Kastration des Sohnes eines Insassen von Kaltbach stand.

Es stellt sich ferner die Forschungsfrage, weshalb die Bundesinstanzen auf einige Beschwerden ausführlich eingingen, auf viele ähnliche andere aber nicht oder nur minimal. Im Fall der Beschwerde von Familie Schuler trug sicher dazu bei, dass sie als Betroffene beim Abfassen und beim Weiterzug der Beschwerde durch alle Bundesinstanzen bis hin zur Bundesversammlung von der Sozialdemokratischen Partei und dem Grütliverein unterstützt wurden. Dies vor dem Hintergrund der politischen Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte wie im Landesstreik 1918.

 

T. Huonker

 

Anganben zur Quelle

Beschwerdebrief der Familie Schuler an das Eidgenössische Justizdepartement, 1921.

Signatur: Schweizerisches Bundesarchiv (BAR): E4110A#1000/1807#19* Familie Schuler, Zürich. Beschwerde wegen Verletzung des Art. 65, Abs. 2 der BV (Anwendung körperlicher Strafen als Disziplinarmittel in der Korrektionsanstalt Kaltbach, Schwyz), 1922-1922 (Dossier).