Ein (Massen-)Schlafsaal in Bellechasse
Zugang zur Quelle
Fotografien sind eine wichtige Quelle, um beispielsweise bauliche Veränderungen oder Alltagssituationen in einer Institution zu dokumentieren, aber auch zu inszenieren. In Fotografien begegnen uns unterschiedliche Wirkungsebenen gleichzeitig. Das Bild «spricht» als Gesamtes. Anders als etwa in einem geschriebenen Text, entwickelt sich das Geschehen nicht Wort für Wort, sondern auf einmal. Alles geschieht auf engem Raum und kommt dabei (auch) ohne Worte aus. Die Analyse dieser Quellengattung benötigt deshalb – im Vergleich zu einer Quellenkritik eines geschriebenen Dokumentes – zusätzliche methodische Überlegungen und Herangehensweisen.
Für eine historische Kontextualisierung gilt es zunächst wie bei einem schriftlichen Dokument die Umstände und Absichten der Herstellung, das Alter und damit die Echtheit abzuklären. Dazu gehört bei der Analyse einer (historischen) Fotografie auch die Klärung möglicher Techniken und Verfahren zur Zeit der Aufnahme. So können beispielsweise heute mit einem Smartphone überall scharfe Bilder – auch von beweglichen Gegenständen – gemacht werden. In der Porträtfotografie zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang ein gutes Bild nur, wenn die Porträtierten einige Sekunden still sassen. Das erklärt, weshalb die Menschen oft steif und ernst erscheinen.
Wenn eine Fotografie wie im vorliegenden Beispiel nicht für sich alleine steht, sondern Teil einer Bildserie ist, muss sie im entsprechenden Zusammenhang betrachtet werden. In unserem Beispiel befindet sich das Bild des neuen Schlafsaals in einem Fotoalbum, das den Umbau dokumentiert. Dieses Album dient damit der Illustration baulicher Neuerungen, die auch nach aussen hin sichtbar gemacht werden sollten. Die Frage, wie ein Bild inszeniert wird, – nicht nur hinsichtlich der Bildsprache, sondern auch der Einbettung in Texte – ist deshalb für die historische Analyse wichtig.
Besonderheiten der Quelle
Neben den geschilderten Besonderheiten dieser Quelle ist noch eine weitere Ebene bei der Untersuchung (historischer) Fotografien zu betrachten: Bilder sind unmittelbarer als Texte, sie sind emotional und dies durchaus auch beabsichtigt. Fotografien entfalten ihre eigene Wirkung. Je nach zeitlichem Kontext schaut die Betrachterin oder der Betrachter ein Bild unterschiedlich an. Einzelne Aspekte können in den Hintergrund treten und die Interpretationen sich damit wandeln. Der Schlafsaal von Bellechasse beispielsweise zeigt einen (Massen-)Schlafsaal. Aus heutiger Perspektive ist dies ein Beispiel für das Fehlen individueller Räume während einer Internierung. Das Bild zeichnet aber auch einen neuen, ordentlichen und sauberen Raum. Sauberkeit und Ordnung waren zum Zeitpunkt der Aufnahme zentrale Aspekte institutioneller Internierungen, die es wert waren, fotografiert zu werden. Und ein Aspekt, der bei einer ersten Betrachtung heute vielleicht nicht sofort klar aufscheint.
L. Seglias
Angaben zur Quelle
Glasson, S.: Schlafsaal der «maison de rééducation au travail» Bellechasse, Sugiez 1948.
Signatur: Staatsarchiv Freiburg (StAF/AEF): EB Div Photos 13, Bellechasse, Ancienne colonie, 1948, Section V: L’ancienne colonie. La maison de rééducation au travail.