Motion zur Revision des «veralteten Sedelgesetzes»
Die Motion bedeutete einen entscheidenden Moment in der Geschichte der Versorgungs-Gesetzgebung im Kanton Luzern. Sie stand am Anfang eines langjährigen Revisionsprozesses, der dieses damals knapp siebzig Jahre alte Versorgungsgesetz erneuerte. Die Motion fand breite Unterstützung im Kantonsparlament, woraufhin dieses den Regierungsrat (Bezeichnung für die Kantonsregierung im Kanton Luzern) mit der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes beauftragte.
Forschungsfragen
Im Zusammenhang mit der Entstehung der administrativen Versorgungsgesetze interessiert sich die UEK für die Argumente, mit welchen Gesetze erlassen bzw. revidiert wurden. Dadurch werden Prozesse der Legitimierung dieser Rechtsgrundlagen sichtbar.
Im Fall der hier vorgestellten Quelle wird sowohl die Begründung des Motionärs als auch die darauffolgende Debatte im Kantonsparlament angeschaut. Stiess die Motion auf Zustimmung oder auf Ablehnung? Wer war Krummenacher, aus welchem politischen Lager und beruflichen Umfeld kam er? Wer stellte sich hinter sein Anliegen und wer dagegen? Je mehr über die Akteure und ihr politisches Umfeld in Erfahrung gebracht werden kann, desto fassbarer werden die Hintergründe der jeweiligen Argumente. Wie wurde die Existenz, Handhabung und Notwendigkeit eines solchen Gesetzes gerechtfertigt?
Zur Beantwortung dieser Fragen werden verschiedene Quellen herangezogen. Die Gesetzesentwürfe und die parlamentarischen Diskussionen zur Revision des Gesetzes veranschaulichen zeitgenössische Denkweisen, welche die Erneuerung des Versorgungsgesetzes verlangten. Da in Luzern keine Wortprotokolle der Grossrats- und Regierungsrats-Verhandlungen geführt wurden, muss für die Analyse auf die Berichterstattung in der Presse ausgewichen werden. Dort gilt es jeweils zu beachten, welcher politischen Gesinnung die Medien verpflichtet waren. Zusätzlich stellen Publikationen von Expertenvereinigungen, wie Ärzten und Fürsorgern, aufschlussreiche Quellen dar, um zeitgenössische Argumentations- und Handlungsweisen zu rekonstruieren.
Zugang zur Quelle
Die durch diese Motion in Gang gebrachte Revision zog sich bis 1966 hin und resultierte im «Gesetz über die Betreuung und Versorgung gefährdeter Erwachsener». In dieser Zeitspanne mehrte sich schweizweit die Kritik an den Rechtsgrundlagen zur administrativen Versorgung, worauf einige Kantone ihre entsprechenden Gesetze aufhoben. 1981 erfolgte die nationale Vereinheitlichung dieser Versorgungsdispositive, welche nicht auf dem Strafrecht beruhten, mittels der Einführung der Fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) im Zivilgesetzbuch (ZGB) und somit auf Bundesebene. Dies bedeutete einen juristischen Kompetenzkonflikt zwischen dem Kanton Luzern und dem Bund. In solchen Fällen gilt bis heute: Bundesrecht vor Kantonsrecht. Somit wurde das Luzerner Gesetz bereits wieder hinfällig. Dieser Schritt hin zur nationalen Regelung von 1981 auf der Grundlage des ZGB zeichnete sich – nicht zuletzt aufgrund von internationalem Druck – schon länger ab. Dennoch war der Kanton Luzern von der Notwendigkeit der Revision seines kantonalen, administrativen Gesetzes überzeugt und führte dieses aufwendige, viele Jahre dauernde Projekt durch.
Vor dem Hintergrund der schweizweiten Neuregelung des ZGB stellt sich deshalb die Frage, wieso der Kanton Luzern sein administratives Versorgungsdispositiv noch revidieren wollte. Hierbei müssen auch die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und eventuelle Veränderungen dieser Zeit im Kanton Luzern und hinsichtlich der restlichen Schweiz – 1950er und 1960er Jahre – in die Analyse der Quelle miteinbezogen werden.
N. Dissler
Angaben zur Quelle
Krummenacher, Albert: Motion betreffend die Revision des «Gesetzes über die Errichtung einer Zwangsarbeitsanstalt» von 1885 an den Regierungsrat des Kantons Luzern, datiert auf den 12. April 1954.
Signatur: Staatsarchiv des Kantons Luzern (StaLU): A 706/334.